Gründung der Walldorfer Tafel e.V.
Am 10. April 2008 fand die Gründungssitzung des gemeinnützigen Vereins statt.
Als Vorstand wurden gewählt:
Vorsitzender:
Hans Klemm
Stellvertreterin:
Eva Ressl
Schatzmeister:
Franz Zwerger
Schriftführer:
Wilhelm Helmbrecht
Beisitzer:
Gudrun Klemm, Anneliese Nieder, Gert Verch, Ulrike Winter und Luise Zwerger
Kassenprüfer:
Dr. Klaus Spiegel und Dr. Günter Willinger
Rede zur Vereinsgründung:
Rede von Bürgermeister Merklinger zur Gründung der Walldorfer Tafel am 10. April 2008:
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Walldorferinnen, liebe Walldorfer,
als „größte soziale Bewegung der 90-er Jahre“, bezeichnete das Magazin „Der Spiegel“ die Tafeln und „als ermutigender Beweis für Solidarität in unserem Land“ wurden sie von Altbundeskanzler Schröder gewürdigt. Und Sie selbst – liebe Anwesende – bringen Ihr Wirken und Ihr Freiwilligenengagement mit einer einfachen Definition auf den Punkt: „Helfen kann ganz einfach sein – oder jeder gibt, was er kann.“
„Jeder gibt, was er kann“ – so könnte auch das Motto der Walldorfer Tafel lauten, die heute aus der Taufe gehoben wird. Ich freue mich sehr über dieses Bürgerengagement, das ganz im Zeichen zwischenmenschlicher Solidarität steht. Ein wunderbares Werk der „Bürger für die Bürger“.
Mit großer Freude darf ich Sie alle ganz herzlich begrüßen und Ihnen auch danken für Ihr Interesse an der heutigen Vereinsgründung und Ihre mitgebrachte Bereitschaft in irgendeiner Form mitzuwirken, ganz nach dem erwähnten Motto: „Jeder gibt, was er kann“.
Mein herzlicher Dank gilt Frau Evi Ressl und Herrn Hans Klemm, die mit zahlreichen „helfenden Händen im Gepäck“ die Initiative ergriffen haben, das Erfolgsmodell der Tafeln auch bei uns zu verankern.
Als Sie mir das Projekt vorgestellt haben und damit auch an die Öffentlichkeit gingen, fanden Sie erfreulicherweise schnell große Resonanz. Eine Reihe von Walldorferinnen und Walldorfern bot sofort ihre Mithilfe an, eine Reihe von Einzelhandelsunternehmen und auch Sponsoren erklärten sich sogleich bereit mitzumachen. Die heutige Vereinsgründung steht somit unter einem „guten Stern“. „Jeder gibt, was er kann“ – das heißt konkret: Die einen geben ihre Zeit und die anderen ihre Lebensmittel. Die einen spenden einwandfreie Nahrungsmittel, die ansonsten entsorgt würden; die anderen holen sie ab und verteilen sie an Bedürftige. Mangel und Überfluss finden zusammen, ein Missverhältnis wird aufgehoben auf eine für alle Beteiligten lohnende Weise. Und es gibt einige, die die Idee so toll finden, dass sie sich mit Geldmitteln unterstützend beteiligen wollen.
Die Idee dieser so pragmatischen wie unbürokratischen Hilfe ist bestechend einfach und der Nutzen liegt auch klar auf der Hand.
Das Tafel-Projekt bietet gleich zwei Lösungen: Es baut ein Überangebot in Supermärkten, Bäckereien oder Restaurants sinnvoll ab und es bringt die Nahrungsmittel zu denen, die sie wirklich brauchen. Denn einerseits fällt in unserem Land Tag für Tag eine erstaunliche Menge noch vollwertiger Nahrungsmitteln an, die im Wirtschaftsprozess nicht mehr verwendet werden – und andererseits gibt es bei uns doch viele Menschen, die sich keine regelmäßigen Mahlzeiten oder genügend frisches Obst und Gemüse leisten können.
Die Tafel-Idee vernetzt das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, die sich für ihr Umfeld verantwortlich fühlen, mit dem Sponsoring von Unternehmen, die ihre Verantwortlichkeit nicht an Betriebstoren oder Ladentüren enden sehen. Mit dieser vereinten Anstrengung unterstützt die Tafel dann Bedürftige direkt vor Ort und ganz unmittelbar mit dem, was sie wirklich brauchen.
Die Idee stammt aus den USA, dem Land mit der großen Tradition sozialen Bürgerengagements. 1963 entstand dort die erste Tafel, 30 Jahre später folgte in Berlin die erste in Deutschland. Auch bei uns entwickelte sich das Projekt rasch zu einer unaufhaltsamen Bürgerbewegung, wie ein paar Zahlen unschwer belegen:
Im Jahre 1994 waren es 4 Tafeln,
im Jahre 1998 waren es schon 100,
im Jahre 2004 schon mehr als 400
und im Jahre 2007 bereits mehr als 700.
Mit der heute zu gründenden Tafel dürften wir uns schon bald der Zahl 1.000 nähern. Die Tafellandschaft wächst immer weiter und das ist gut so. Es dürften mittlerweile rund 40.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sein, die mehr als eine halbe Million Menschen Tag für Tag mit Lebensmittel oder mit Essen versorgen.
Dass die Tafel-Idee zu einer Erfolgsgeschichte wurde, hat, wie ich finde, ganz einfache Gründe. Die Helferinnen und Helfer sehen, was sie tun; sie erfahren tagtäglich, dass ihre Unterstützung wirklich ankommt und dass sie gebraucht wird. Und hinzu kommt, dass die in die Initiative eingebrachte eigene Freude auch „zurückfreut“.
„Unser täglich Brot gib uns heute…“ wie oft kommen diese Worte über unsere Lippen und trotz Wohlstandsgesellschaft gibt es viele Menschen, bei denen sich diese Bitte im täglichen Leben nicht oder nur unzureichend erfüllt. Auch bei uns – dem immer wieder zitierten „reichen Walldorf“ leben Menschen mit Existenzsorgen, auch bei uns leben Menschen, die nur ein geringes oder gar kein Einkommen haben und oftmals nicht wissen, wie sie über die Runden kommen – wie sie sich selbst oder ihre Kinder vernünftig ernähren sollen.
So gab es im Jahre 2007 in Walldorf rd. 550 Haushalte, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen waren. Dazu gehören die Arbeitslosen und die Sozialhilfeempfänger. Hinzu kommen noch rd. 100 Haushalte, die Wohngeld benötigen. Wir dürften hier in Walldorf genau die gleichen Situationen haben wie in all den anderen Kommunen. Da wirken sich die hohen Arbeitsplatzangebote für überwiegend qualifizierte Berufsrichtungen überhaupt nicht aus. Armut gibt es auch in Walldorf – sie ist mitten unter uns. Dazu zählen auch viele Kranke, Behinderte und obdachlose Menschen und nicht nur Ältere, zunehmend auch Jüngere.
Die Menschen, die gar kein oder nur ein niedriges Einkommen haben und manchmal nicht wissen, wie sie im letzten Drittel des Monats über die Runden kommen sollen oder wann sie ihren Kindern wieder Milch und frisches Obst kaufen können, sie bekommen nun eine Stelle, an der sie eine Mahlzeit oder Lebensmittel erhalten. Und dort erfahren sie auch, was nicht unterschätzt werden sollte, wieder persönliche Zuwendung und Zuspruch. Denn sie, die sonst oft ausgegrenzt werden oder sich ausgegrenzt fühlen, werden hier einfach akzeptiert, ihre Armut oder Bedürftigkeit wird nicht als Versagen oder Schande angesehen. Sie finden ein Angebot vor, das auf ihre Lage zugeschnitten ist. Und sie bekommen nicht nur einwandfreie Naturalleistungen, um eine schwierige Phase zu überbrücken, sondern auch neue Motivation.
So wichtig Mahlzeiten für die Menschen sind, die sich nur selten frisches Obst oder Gemüse oder Fleisch leisten können, so wichtig ist auch die soziale Unterstützung, die sie dabei erfahren. Menschen brauchen auch Zuspruch und Zuwendung. Bei der beabsichtigten Tafel finden sie nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch sozialen Kontakt, sie erfahren Aufmerksamkeit, sie werden in ihrer jeweiligen Situation abgeholt, das Selbstwertgefühl wird gestärkt. Und dieses Gefühl des „Angenommen sein und der Zugehörigkeit“ – ist vielleicht genauso hoch anzusetzen, wie das Verteilen der Lebensmittel selbst.
Die Tafeln arbeiten mit ihren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern unabhängig von politischen Parteien und Konfessionen und setzen ein ermutigendes Zeichen für Solidarität in unserem Land. Sie machen unsere Gesellschaft menschlicher und freundlicher. Sie sind ein Ausdruck des Bürgersinns, der gebraucht wird, damit unsere Gesellschaft funktioniert.
Es ist ein gutes Zeichen für unsere Stadt und unser Land, dass sich immer wieder Bürgerinnen und Bürger finden, die anpacken, wo es Not tut – in ihrer Freizeit und unentgeltlich. Sie sehen und wissen, dass der Staat nicht alles richten kann; sie packen an und handeln in dem Wissen, dass die Gesellschaft eigentlich wir alle sind. Es gibt nicht nur soziale Kälte und Ellbogenmentalität in unserem Land, es gibt auch – und zwar in größerem Ausmaß, als man manchmal meint – Solidarität und Mitmenschlichkeit. Wir in Walldorf können sehr stolz darauf sein – und wir betonen das auch immer wieder – dass bei uns das Ehrenamt traditionell stark ausgeprägt ist. Das ist ein gewaltiges Kapital, ein besonderer Reichtum, von dem wir alle profitieren.
Viele Menschen engagieren sich in der einen oder anderen Weise; viele fragen danach, was sie in ihrem Umfeld tun können; viele wenden sich gesellschaftlichen Problemen oder einzelnen ihrer Mitmenschen zu und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur „sozialen Stadt“.
So, wie Sie es tun oder tun wollen, liebe Gründerinnen und Gründer der Walldorfer Tafel. Ich möchte Ihnen für Ihr Engagement ganz herzlich danken und wünsche Ihnen für Ihr Wirken schon jetzt den bestmöglichen Erfolg.
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